AUSSTELLUNGSARCHIV

       

Claus Ricken

Der Andere

Acrylbilder auf Leinwand

12.08.-27.10.2007

 

EINFÜHRUNG VON DR. ROSMARIE KÜHNE:

 

„Der Andere“ ist das Thema dieser Ausstellung. Der andere, das bin nicht Ich, und doch ist jedes Ich auch ein Anderer, für den Anderen. Der Andere ist mir, dem Anderen nicht gleich, er ist anders geartet und doch wie das Ich einmalig, einzig, unvergleichlich.

 

Auf 5 Leinwänden sind Menschen dargestellt, die sich an Orten befinden, die es ihnen nicht erlauben,  für eine vorübergehende Zeit dem Anderen  auszuweichen. Die ausgewählten Orte zeigen eine Reihe von zunehmender Einschränkung und Unfreiheit, sich von diesem Ort den Anderen zu entziehen: Ampel, Rolltreppe, Lift, U-Bahn (der Andere), Flugzeug (Destination).

Die Menschen auf den Bildern wirken teilnahmslos, auf sich selbst bezogen, gar narzisstisch versenkt. Was interessiert hier der Andere, der Fremde? Zumal jeder nach dem gezwungenen Zusammensein wieder seine eigenen Lebenswege geht.

Wenn ein Ich dem Anderen räumlich nicht ausweichen kann, so ermöglicht ihm die Teilnahmslosigkeit, die Gleichgültigkeit dem Anderen gegenüber, eine andere Art von Ausweichen, das Sich-abwenden, Nicht-hinsehen, den inneren Rückzug.

Man kann aber nicht wirklich von dem Einen reden ohne den Anderen mitzudenken, wo Einer ist, ist immer auch ein Anderer. Wo kein Anderer ist, ist ein Einzelner.

 

Die Orte des erzwungenen Zusammenseins sind aber nicht nur als reale Gegebenheiten zu verstehen, wie sie jeder aus dem Alltag kennt und erlebt, ohne es vielleicht wie der Künstler so zu erleben und künstlerisch zu verarbeiten.

Die Orte stehen symbolisch für unsere Erde, die Summation aller örtlichen Gebundenheit, die wir nicht so ohne weiteres verlassen können.

In einer globalisierten und digitalisierten Welt sind wir mehr denn je auf den Anderen angewiesen, gehorchen wir Gesetzen und Rhythmen, die nicht mehr unseren eigenen gefühlten entsprechen.

Aber aus einer traditionellen Gesellschaft mit persönlichen Austausch-beziehungen scheint sich eine anonyme Gesellschaft mit unpersönlichen Austauschbeziehungen zu entwickeln.

Das ist hier nicht als Pessimismus zu verstehen, denn was heute eine Gefahr zu sein scheint, kann sich morgen vielleicht schon als eine Chance erweisen. Aus dieser anonymen Gesellschaft könnte eine sog. „open access“-Gesellschaft entwickeln, die die Komplexität moderner Technologien (Internet, Handy, Digitalkamera etc.) als Möglichkeit versteht, den Anderen, den Fremden nicht auszugrenzen, sondern jedem den Zugang zu Bildung und Wissen ermöglicht.

 

Die Stilrichtung erinnert etwas an die neue Sachlichkeit der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts, die eine distanzierte Darstellung kühler Sachwirklichkeit zeigen und auch eine sozialkritische Komponente betonen will. (Hauptvertreter waren vor allem Otto Dix, George Grosz und Rudolf Schlichter.)

Nicht nur Farben und Formen bestimmen künstlerischen Ausdruck und Willen, wie in der abstrakten Malerei, sondern bewusste Darstellung wirklicher Gegebenheiten. Andererseits darf die sachliche Wirklichkeit nicht fotografisch getreu sein noch darf sie zu abstrahiert werden. Mit Effekten der Verfremdung (wie z.B. die maskenhaften Gesichter) wird dies erreicht.

 

Die Bilder auf der Südseite der Galerie (die 5 kleinen Bilder und „Museum“) entspringen Überlegungen, den Anderen über den sog. „Dritten“, die Kommunikationstechnologien, zu erfahren. Persönliche menschliche Gegenwart ist für Kommunikation nicht mehr nötig. In der virtuellen Welt des Internets wissen wir nicht mehr, ob wir es mit real existierenden Menschen zu tun haben.

Das Internet ermöglicht sogar die Kreierung eines „second-life“, das wir uns selbst künstlich einrichten können, wie immer wir wollen, sozusagen maßgeschneidert.

 

Die Bilder zeigen außerdem, wie verschiedene Raumorientierungen unterschiedliche Wahrnehmungen erzeugen. Für gelungene Kommunikation ist es wichtig, sich in einer unendlichen Aufforderung auf die Besonderheiten des Anderen einzulassen. Denn schließlich sind wir die Anderen für die Anderen, aber wir wollen es nicht sagen, weil wir uns immer nur als ICH erleben und nicht als der Andere. Die beiden Bilder „Erhöht“ und „Erniedrigt“ stellen eine Raumsituation dar. Oben steht der Mann und schaut nach unten auf die Frau. Sie teilen eine Situation und einen Raum, sehen Sie hin, wie verschieden ihre Perspektiven und Wahrnehmungen des Raumes und des anderen sind.

Die beiden Bilder „Der Dritte I“ und „Der Dritte II“ sind ein Pendant dazu, d.h. Mann und Frau sitzen in demselben Raum, die Situation ist für beide gleich, derselbe Raum, die gleiche Situation und doch wie verschieden für den Einen und den Anderen, oder sollte ich sagen für den Einen und den Einen,  den Anderen und den Anderen?

 

Auf dem großen Bild „Am Terminal über Touchscreen interaktiv Serviceleistungen konfigurieren“ werden die verschiedenen Aspekte deutlich. Nicht ein netter Museumswächter sagt uns etwas über die Bilder, mit denen er viele Jahre vertraut ist, mit manchem Besucher über sie gesprochen hat, sondern am Terminal können wir uns kundig machen, genauer, umfangreicher, detaillierter und eben anonymer. Auf den Monitoren rechts im Bild: sind das nun Menschen oder virtuelle Gestalten? Die Museumsbesucher betrachten die Kunstwerke, wir sehen ihre Rückenansicht. Aus dieser Perspektive sind wir einbezogen zu Betrachtern der Betrachter und zu Betrachtern der Bilder.

Ich wollte Ihnen im Sinne des Künstlers Anregungen geben, einzutauchen in die Welt des Anderen, seine andere Erlebnisweise nachzuvollziehen und darüber zu philosophieren, wie die Realität des „Dritten“ Wahrnehmung, Perspektive und Wirklichkeit für uns verändern.  Schnappen Sie sich den Künstler, stellen Sie ihm Ihre Fragen und lassen Sie sich von ihm verführen, gewohntes Denken zu verlassen und neuen spannenden Boden zu betreten.

 

Dr. R. Kühne zum 12. August 2007