EINFÜHRUNG VON DR. ROSMARIE KÜHNE:
„Der Andere“
ist das Thema dieser Ausstellung. Der andere, das bin nicht Ich, und
doch ist jedes Ich auch ein Anderer, für den Anderen. Der Andere ist
mir, dem Anderen nicht gleich, er ist anders geartet und doch wie
das Ich einmalig, einzig, unvergleichlich.
Auf 5
Leinwänden sind Menschen dargestellt, die sich an Orten befinden,
die es ihnen nicht erlauben, für eine vorübergehende Zeit dem
Anderen auszuweichen. Die ausgewählten Orte zeigen eine Reihe von
zunehmender Einschränkung und Unfreiheit, sich von diesem Ort den
Anderen zu entziehen: Ampel, Rolltreppe, Lift, U-Bahn (der Andere),
Flugzeug (Destination).
Die Menschen
auf den Bildern wirken teilnahmslos, auf sich selbst bezogen, gar
narzisstisch versenkt. Was interessiert hier der Andere, der Fremde?
Zumal jeder nach dem gezwungenen Zusammensein wieder seine eigenen
Lebenswege geht.
Wenn ein Ich
dem Anderen räumlich nicht ausweichen kann, so ermöglicht ihm die
Teilnahmslosigkeit, die Gleichgültigkeit dem Anderen gegenüber, eine
andere Art von Ausweichen, das Sich-abwenden, Nicht-hinsehen, den
inneren Rückzug.
Man kann aber
nicht wirklich von dem Einen reden ohne den Anderen mitzudenken, wo
Einer ist, ist immer auch ein Anderer. Wo kein Anderer ist, ist ein
Einzelner.
Die Orte des
erzwungenen Zusammenseins sind aber nicht nur als reale
Gegebenheiten zu verstehen, wie sie jeder aus dem Alltag kennt und
erlebt, ohne es vielleicht wie der Künstler so zu erleben und
künstlerisch zu verarbeiten.
Die Orte
stehen symbolisch für unsere Erde, die Summation aller örtlichen
Gebundenheit, die wir nicht so ohne weiteres verlassen können.
In einer
globalisierten und digitalisierten Welt sind wir mehr denn je auf
den Anderen angewiesen, gehorchen wir Gesetzen und Rhythmen, die
nicht mehr unseren eigenen gefühlten entsprechen.
Aber aus einer
traditionellen Gesellschaft mit persönlichen Austausch-beziehungen
scheint sich eine anonyme Gesellschaft mit unpersönlichen
Austauschbeziehungen zu entwickeln.
Das ist hier
nicht als Pessimismus zu verstehen, denn was heute eine Gefahr zu
sein scheint, kann sich morgen vielleicht schon als eine Chance
erweisen. Aus dieser anonymen Gesellschaft könnte eine sog. „open
access“-Gesellschaft entwickeln, die die Komplexität moderner
Technologien (Internet, Handy, Digitalkamera etc.) als Möglichkeit
versteht, den Anderen, den Fremden nicht auszugrenzen, sondern jedem
den Zugang zu Bildung und Wissen ermöglicht.
Die
Stilrichtung erinnert etwas an die neue Sachlichkeit der zwanziger
Jahre des letzten Jahrhunderts, die eine distanzierte Darstellung
kühler Sachwirklichkeit zeigen und auch eine sozialkritische
Komponente betonen will. (Hauptvertreter waren vor allem Otto Dix,
George Grosz und Rudolf Schlichter.)
Nicht nur
Farben und Formen bestimmen künstlerischen Ausdruck und Willen, wie
in der abstrakten Malerei, sondern bewusste Darstellung wirklicher
Gegebenheiten. Andererseits darf die sachliche Wirklichkeit nicht
fotografisch getreu sein noch darf sie zu abstrahiert werden. Mit
Effekten der Verfremdung (wie z.B. die maskenhaften Gesichter) wird
dies erreicht.
Die Bilder auf
der Südseite der Galerie (die 5 kleinen Bilder und „Museum“)
entspringen Überlegungen, den Anderen über den sog. „Dritten“, die
Kommunikationstechnologien, zu erfahren. Persönliche menschliche
Gegenwart ist für Kommunikation nicht mehr nötig. In der virtuellen
Welt des Internets wissen wir nicht mehr, ob wir es mit real
existierenden Menschen zu tun haben.
Das Internet
ermöglicht sogar die Kreierung eines „second-life“, das wir uns
selbst künstlich einrichten können, wie immer wir wollen, sozusagen
maßgeschneidert.
Die Bilder
zeigen außerdem, wie verschiedene Raumorientierungen
unterschiedliche Wahrnehmungen erzeugen. Für gelungene Kommunikation
ist es wichtig, sich in einer unendlichen Aufforderung auf die
Besonderheiten des Anderen einzulassen. Denn schließlich sind wir
die Anderen für die Anderen, aber wir wollen es nicht sagen, weil
wir uns immer nur als ICH erleben und nicht als der Andere. Die
beiden Bilder „Erhöht“ und „Erniedrigt“ stellen eine Raumsituation
dar. Oben steht der Mann und schaut nach unten auf die Frau. Sie
teilen eine Situation und einen Raum, sehen Sie hin, wie verschieden
ihre Perspektiven und Wahrnehmungen des Raumes und des anderen sind.
Die beiden
Bilder „Der Dritte I“ und „Der Dritte II“ sind ein Pendant dazu,
d.h. Mann und Frau sitzen in demselben Raum, die Situation ist für
beide gleich, derselbe Raum, die gleiche Situation und doch wie
verschieden für den Einen und den Anderen, oder sollte ich sagen für
den Einen und den Einen, den Anderen und den Anderen?
Auf dem großen
Bild „Am Terminal über Touchscreen interaktiv Serviceleistungen
konfigurieren“ werden die verschiedenen Aspekte deutlich. Nicht ein
netter Museumswächter sagt uns etwas über die Bilder, mit denen er
viele Jahre vertraut ist, mit manchem Besucher über sie gesprochen
hat, sondern am Terminal können wir uns kundig machen, genauer,
umfangreicher, detaillierter und eben anonymer. Auf den Monitoren
rechts im Bild: sind das nun Menschen oder virtuelle Gestalten? Die
Museumsbesucher betrachten die Kunstwerke, wir sehen ihre
Rückenansicht. Aus dieser Perspektive sind wir einbezogen zu
Betrachtern der Betrachter und zu Betrachtern der Bilder.
Ich wollte
Ihnen im Sinne des Künstlers Anregungen geben, einzutauchen in die
Welt des Anderen, seine andere Erlebnisweise nachzuvollziehen und
darüber zu philosophieren, wie die Realität des „Dritten“
Wahrnehmung, Perspektive und Wirklichkeit für uns verändern.
Schnappen Sie sich den Künstler, stellen Sie ihm Ihre Fragen und
lassen Sie sich von ihm verführen, gewohntes Denken zu verlassen und
neuen spannenden Boden zu betreten.
Dr. R. Kühne
zum 12. August 2007